Ein sehr schlechtes Alibi

Eine Auseinandersetzung mit dem Aufruf der Nazis

Zum 22. Oktober 2011 haben faschistische Kräfte einen Aufmarsch in Offenburg angemeldet unter dem Motto „Ohne Bauernstand stirbt unser Vaterland“. Durch brisante Aussagen im Blog der Nazis wird klar deutlich, was der eigentliche Grund Demonstration sein wird: Die Verhöhnung der (badischen) Jüdinnen und Juden am Jahrestag der Deportation nach Gurs im Jahre 1940.

Im Folgenden wollen wir uns aber den gesamten Aufruf der Ortenauer Nazis im Detail anschauen und aufzeigen, dass nicht erst der Bezug auf die Deportation 1940 eine widerliche Farce ist, sondern auch das Motto und der Aufruf darstellen, wie beschränkt das Weltbild der Nazis ist und in welcher geschichtlichen Tradition sie stehen.

Erste Beobachtungen
Beginnen wir dazu mit ein paar Beobachtungen. Es ist interessant, wie auf diese Demonstration aufmerksam gemacht wurde. Schon im März dieses Jahres stand der Blog der Nazis unter dem Namen der „Freien Kräfte Ortenau“ im Internet, um mit einer spärlichen Unterstützerliste und dem besagten Aufruf auf die Demonstration hinzuweisen. Seither haben dieser Blog und der Aufruf ein paar Aktualisierungen erfahren. Z.B. wurde aus der Ich-Perspektive des Schreibers nach einigen Monaten ein „wir“.

Doch wer genau ist dieses „ich“? Die Antwort dazu finden wir im letzten Jahr, als am 23. Oktober 2010 von einem antifaschistischen Bündnis eine Demonstration in Rastatt bzw. Söllingen gegen das Nazizentrum in Söllingen organisiert wurde. Wenige Wochen vorher wurde relativ spontan bekannt, dass Ortenauer FaschistInnen am gleichen Tag in Offenburg einen Aufmarsch planen, der letztlich aber von 600 bis 1000 Menschen verunmöglicht wurde und für die Nazis im Debakel einer abgebrochenen stationären Kundgebung mit 61 TeilnehmerInnen endete.

Im Nachhinein wurde auf einer Kommentar-Sparte der Badischen Zeitung von einem Schreiber unter dem Pseudonym „Manfred Bogard“ behauptet, dass er diese Demonstration angemeldet habe, um die regionalen linken und antifaschistischen Kräfte an diesem Tag zu spalten und die Aktivitäten gegen das nur 50km entfernte Nazizentrum „Rössle“ zu schwächen. Wie sich gezeigt hat, ging dieser Plan nicht auf und beide antifaschistischen Gegenaktionen waren ein voller Erfolg.

Wie im letzten Jahr leicht ersichtlich, war damals Florian Stech der Anmelder. Er ist bekennendes Mitglied sowohl der NPD als auch der „Kameradschaft Südsturm Baden“ (KSB), oder nun auch bekannt als „Manfred Bogard“. So wundert es kaum, dass Florian Stech schon ziemlich lange als Redner für den Oktober-Aufmarsch auf dem Blog angekündigt wird. Die politischen Ziele auf seiner offiziellen NPD-Seite ähneln den Mottos der Aufmärsche in Offenburg erstaunlich. Aktuell ist sein erstgenanntes politisches Ziel sogar die „Stärkung des deutschen Bauernstandes“ .

Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei nicht um puren Zufall handelt und Stech auch dieses Jahr für die Anmeldung des Naziaufmarsches verantwortlich ist, in jedem Fall aber ist er Teil des engen Organisationskreises.

Mit dem Sprachgebrauch des Faschismus
Während sich das Motto des Nazi-Aufmarsches 2010 rund um die Erhaltung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung drehte, so ist die Zielgruppe in diesem Jahr um einiges spezifischer: Es soll um die Erhaltung des „Bauernstandes“ im Einklang mit nationalistischen Interessen gehen.

Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „Bauernstand“ fast ausschließlich von rechten und faschistischen Ideologen verwendet wird, um über Menschen zu sprechen, die in der landwirtschaftlichen Produktion arbeiten. Dieser Begriff unterliegt aber in diesem Zusammenhang ganz und gar nicht einer wissenschaftlichen Definition und es ist in keinem Fall soziologisch, historisch oder wirtschaftlich richtig, diesen Begriff als Bezeichnung für eine Berufsgruppe zu verwenden, wie es hier der Fall ist. Die Verwendung des Wortes „Stand“ in diesem Zusammenhang ist stark veraltet, revisionistisch und reaktionär.

Während der Zeit des Faschismus wurde diesem sog. „Bauernstand“ z.B. in Österreich, Italien und Deutschland zudem eine hervorgehobene und großzügig (staatlich) subventionierte Rolle zugewiesen, um das einfache Volk und die kleinen Leute an sich zu binden. Wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass Stech und sein Umfeld sich bewusst dieses Thema aus der faschistischen Ideologie rausgepickt haben, um auf ihre historischen VorgängerInnen, die FaschistInnen des 20. Jahrhunderts, Bezug zu nehmen. Denn gemäß dieser Ideologie ist der „Bauernstand“ die Basis des Konstruktes der „Volksgemeinschaft“, was der Theorie nach konkret bedeutet, dass die sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze innerhalb einer Gesellschaft geleugnet werden und aufgelöst werden sollen (Einkommen, Position, Interessen usw.), um vermeintlichen sozialen Frieden und politische Stabilität zu erreichen. Noch immer erheben freie Kameradschaften und die NPD die Forderung nach einem widersprüchlichen „Nationalen Sozialismus“ mit den Rufen nach einer „Volksgemeinschaft“. Die Elemente dieser „Volksgemeinschafts“-Vorstellung sind früher sowie auch heute Rassismus und Antisemitismus.

Der Rassismus z.B. zeigt sich in den Äußerungen über die „ausländischen Billig-Importe“, die den „Deutschen Bauer“ bedrohen würden. Weiterhin gibt es die offene aggressiv antisemitische Ansage über den Anlass der Demo: „denn von nun an haben wir einen guten Grund, in jedem Jahr an genau diesem Datum [der Deportation der badischen Jüdinnen und Juden] einen Aufmarsch zu organisieren…“.

Von Ursache und Wirkung
Ein weiterer Punkt, den der Aufruf aufgreift ist die Situation der regionalen Bauern und Bäuerinnen, die bestimmt sei durch einen „immer härteren Preiskampf“; ohne die Agrar-Subventionen der EU und der BRD würden diese Bauern überhaupt nicht mehr existieren können. Als Hauptmissstand wird genannt, dass „oftmals Lebensmittel minderer Qualität“ aus dem „billiger produzierenderen Ausland“ eingeführt werden. Dieser Vorgang würde sich dann „Globalisierung“ nennen.

Mal davon abgesehen, dass viele Betroffene diesen flachen Aussagen zunächst einmal zustimmen würden, bleiben in diesem Abschnitt, der ja schließlich das (vorgeschobene) Motto der Demo erklären soll, einige wichtige Informationen ungenannt und einige Tatsachen stark verdreht. Beispielsweise wird erklärt, dass der Auslöser für die jetzige Situation der Landwirtschaftsbetriebe die „Geiz ist geil“-Mentalität der KäuferInnen sei.

Verantwortlich für den starken Konkurrenzmarkt in der Lebensmittelbranche seien die Menschen, die das Produkt im Laden kaufen (müssen). An dieser Stelle wird Ursache und Wirkung verdreht. So kann man billige Produkte erst kaufen, wenn die billigen Produkte auf dem Markt sind. Diese Produkte werden von Unternehmen auf den Markt gebracht, die natürlich möglichst viel Profit machen möchten, d.h. konkret einen großen Marktanteil haben wollen und dazu möglichst viel verkaufen müssen. Um diese Ziele erreichen zu können, müssen die Lebensmittelkonzerne immer preisgünstigere Produkte auf den Markt bringen, um weiterhin Profite zu gewährleisten und die Konkurrenz auf Distanz zu halten. Dabei versuchen die Unternehmen zu sparen, wo es nur geht: An den Löhnen der MitarbeiterInnen, an Produktions- und Rohmaterialkosten und wenn es sich lohnt auch an den Transportkosten – oder eben bei der Abnahme von Erzeugnissen aus Kleinbetrieben. Die regionalen Bauern bzw. Bäuerinnen, die sich nicht auf eine riesige Monokultur oder einen profitablen Spezialbereich (evtl. Holz, Tierzucht, Milchwirtschaft, Tourismus usw.) konzentriert haben, produzieren ihre Waren – im Vergleich zur industriellen landwirtschaftlichen Produktion – in der Regel um einiges teurer als ihre Konkurrenten aus der Großindustrie. Das ist der Grund, warum ihre Produkte üblicherweise nicht händeringend von (großen) Weiterverarbeitungsunternehmen abgenommen werden. Somit geraten die kleineren Landwirtschaftsbetriebe durch die enorme Konkurrenz auf dem Markt in starke Bedrängnis und nicht selten – insbesondere hier in der Region – passiert es, dass es nicht mehr rentabel ist, einen Hof weiterzubetreiben und die kleinen Höfe deshalb immer mehr verschwinden.

Dieser Vorgang, bei dem die kleinen Höfe aufgeben müssen, ist im Übrigen direkter Ausdruck des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die kleinen Höfe fallen durch das ökonomische Sieb zum Nutzen eines immer krasseren Profitstrebens weniger Monopolkonzerne in der Branche.

An dieser Stelle möchten wir die Situation der regionalen kleinen Landwirtschaftsbetriebe im Kontext der kapitalistischen Produktions- und Verteilungsverhältnissen aber nicht schön reden oder gar verteidigen. Als AntikapitalistInnen kritisieren wir diese unmenschliche und rücksichtslose Auswirkung des herrschenden Wirtschaftssystems auf das Schärfste, ohne die „Schuld“ auf die Menschen in anderen Ländern abzuwälzen.

Aber um wieder zum Nazi-Aufruf zurückzukommen: Von unserer kurzen obigen Beschreibung ist im Aufruf der Faschisten keine Spur. Wie bereits erwähnt, wird Ursache und Wirkung verdreht, importierte Produkte werden zu Unrecht verteufelt und die Darstellung der bäuerlichen Situation durch die Nazis ist selbst mit den Worten „oberflächlich“ oder „unzureichend“ noch beschönigend ausgedrückt.

Wie bitte?
Aber noch seltsamer wird es, wenn wir zum Lösungsvorschlag der FaschistInnen kommen: „Alle Räder stehen still, wenn DEIN Konsumverzicht es will!“. So propagieren es zumindest Stech und Co. Der individuelle Konsumverzicht von importierten Lebensmitteln soll also den „deutschen Bauern“ helfen. Tja, wen wundert es dann überhaupt noch, auf der Basis einer so schlechten Darstellung der Situation der regionalen Landwirtschaftsbetriebe, auch noch eine so schlechte und dilletantische Schlussfolgerung zu hören? Außer dem Reim stimmt an dieser Parole wohl nichts. Übrigens, eines steht aber auch fest: Man braucht kein Nationalist zu sein, um es besser, sinnvoller und ökologischer zu finden, regionale Produkte zu kaufen.

Fazit
Es ist festzustellen, dass der Nazi-Aufruf inhaltlich sehr seltsam zusammengesetzt ist. Es ist leicht zu erkennen, dass es wohl kaum mehr als ein Alibi-Aufruf ist. Die inhaltliche Substanz ist sogar noch geringer als das Niveau an manchem Stammtisch. Die üblichen nationalistischen Phrasen und Widersprüche sind ebenso zu finden wie die pseudo-antikapitalistische Propaganda gekoppelt mit Rassismus und Judenfeindlichkeit. Alles in allem ist dieser Aufruf buchstäblich eine Bauernfängerei auf niedrigstem Niveau.